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Nachwuchs im Doppelpack

Ähnlich und doch anders - Familien erzählen aus ihrem Alltag mit Zwillingen 

Ava und Leni sind acht Jahre alt. Beide haben lange blonde Haare, sehen ähnlich aus, sind aber keineswegs gleich. „Ich bin fast fünf Zentimeter größer als Leni“, sagt die eine. „Und ich bin eine Minute eher zur Welt gekommen“, kontert die andere. Ava und Leni sind zweieiige Zwillinge. Was das heißt? Mutter Daniela Schmitfranz zeigt ein Ultraschallbild von der Schwangerschaft. Auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme sind zwei Blasen deutlich zu erkennen: Zwei Eier waren damals herangereift und wurden jeweils befruchtet. Genetisch betrachtet sind sich Ava und Leni damit nicht ähnlicher als andere Geschwister. Mit dem Unterschied, dass sie zusammen im Mutterbauch herangewachsen sind, am selben Tag geboren wurden und vieles gemeinsam erleben.

Die Schwestern gehen in eine Klasse, in der Freizeit reiten, voltigieren und tanzen sie zusammen. Organisatorisch sei das praktisch, meint die Mutter. Auch Leni und Ava fallen erst einmal nur Vorteile zum Zwillingsdasein ein: „Man hat immer jemanden zum Spielen. Wir sind nie alleine.“ Eine Schwester an der Seite, das gibt Sicherheit - könne aber auch schon mal nerven. Zum Beispiel wenn die eine mit einer Freundin alleine spielen will und die andere dazwischen geht. Und natürlich wollen Ava und Leni nicht nur als Duo wahrgenommen werden. Bei Kindergeburtstagen und Verabredungen meinen manche, entweder beide einladen zu müssen oder keine. „Die denken wohl, dass wir sonst traurig sind.“  

Nähe und Distanz, Ähnlichkeit und Individualität - bei Zwillingen ist das immer ein Balanceakt. Das fängt schon bei Kleinigkeiten wie der Kleidung an. „Als Baby habe ich beide immer gleich angezogen“, sagt Mutter Daniela. Heute trägt jede, was ihr gefällt. „Gleiche Sachen würde ich blöd finden, dann würde man uns in der Schule schneller verwechseln“, meint Ava. Auch die Eltern wünschen sich: Jedes Mädchen soll als eigene Persönlichkeit wahrgenommen werden. Schließlich hat jedes Kind auch seinen ganz eigenen Charakter. „Leni ist impulsiv, Ava die ruhigere“, erzählt Vater Christian und staunt manchmal selbst: „Beide Kinder wachsen im gleichen Umfeld auf und trotzdem sind sie so unterschiedlich!“

 

Austausch mit Gleichgesinnten

Ein Zwilling geht forsch drauflos, der andere analysiert erst einmal die Lage, der eine ist sensibel, den anderen kann so leicht nichts erschüttern. Jeder Zwilling ist anders - das erleben auch die Eltern, die sich in der Hedwig-Dornbusch-Schule in Bielefeld regelmäßig treffen. Die Familienbildungsstätte bietet einen Spiel- und Bewegungskurs speziell für Mehrlingseltern an. „Die Nachfrage war da. Eltern wollten sich gerne mit Gleichgesinnten austauschen“, sagt Kursleiterin Katharina Kibilka.

Plötzlich zu viert! Die erste Zeit sei anstrengend gewesen.  „Zweimal Windeln wechseln, zweimal Fläschchen geben und gefühlt die sechsfache Menge Wäsche“, erinnert sich die Mutter von Carla und Theo. Die 32-Jährige war froh, dass ihr Mann damals acht Monate Elternzeit nehmen konnte und sie gemeinsam zu Hause waren. „Wir haben von Anfang an klare Strukturen eingeführt, feste Schlafenszeiten, feste Essenszeiten“, beschreibt der Vater die Strategie, um den Alltag in den Griff zu bekommen. Andere Eltern halten es anders. Und das sei gut so, meint Kibilka: „Jede Familie muss einen eigenen Weg finden und auf das Bauchgefühl hören.“ Der Mutter von Leonie und Rebecca war es zum Beispiel wichtig, ihre Kinder nach Bedarf zu stillen und schlafen zu lassen, auch wenn das die Eltern stark gefordert hat. „Ein Kind brauchte immer etwas.“

Und auch das kennen die Eltern: Zwillinge sind besonders, sie  faszinieren auch die Umwelt und ziehen schnell die Aufmerksamkeit auf sich, manchmal mehr, als es den Eltern lieb ist. „Wildfremde Menschen schauen auf einmal in den Kinderwagen und betätscheln die Kinder, erzählt eine Mutter. Das gehe schnell in die Privatsphäre. „Mit Zwillingen steht man sofort im Fokus“, bestätigt der Vater von Phillip und Lukas. Seine Söhne bekommen vermutlich noch mehr Beachtung, denn sie sind eineiige Zwillinge. Für Außenstehende gleichen sich die Siebenjährigen tatsächlich wie das berühmte Ei dem anderen, und kleine Kinder fragen schon mal unbedarft: „Du, warum gibt es dich zweimal?“

Doch so ähnlich sie auch aussehen, gleich sind eineiige Zwillinge keineswegs. Auch sie haben unterschiedliche Charaktereigenschaften und Temperamente. Was die Eltern aber schon beeindruckt ist die innige Beziehung der beiden zueinander. „Sehen sich Lukas und Phillip mal ein paar Stunden nicht, müssen sie sich anschließend ausgiebig austauschen", erzählt der Vater. Und muss einer mal zu Hause bleiben, bringe der andere ihm auf jeden Fall eine Kleinigkeit von unterwegs mit. „Das ist ihnen ganz wichtig, sie denken immer für den Bruder mit.“

Zwillingsforscher bestätigen, dass eineiige Zwillinge oft eine besonders enge Bindung haben. „Sie werden auch von den Eltern häufig ähnlicher behandelt als zweieiige Zwillinge. Sie sind sich einfach ähnlicher“, weiß Professor Rainer Riemann von der Universität Bielefeld. Auch Marlon und Davin Thiemann, 13 Jahre alt und eineiige Zwillinge, sind am liebsten den ganzen Tag zusammen. Die beiden Jungen spielen Fußball in einer Mannschaft, machen Musik, haben einen gemeinsamen besten Freund und gehen in eine Klasse. Eines aber mögen sie nicht: Als „ihr beide“ in einen Topf geworfen werden. Zwilling hin oder her, jeder möchte als Einzelperson wahrgenommen werden.

Die Eltern achten darauf, die Söhne bewusst mit ihrem Namen anzusprechen und mit einem Jungen auch mal etwas alleine zu unternehmen. „Darüber freuen sie sich. Allerdings ist das ist nicht immer einfach, schon aus Zeitgründen“, sagt Mutter Petra Hönisch. Zwillinge - für Eltern sind sie eine Herausforderung, aber sie machen den Alltag auch besonders. Darin sind sich alle befragten Eltern einig: „Das Miteinander von Zwillingen zu erleben, ist einfach wundervoll.“

Silke Tornede

 

Was ist angeboren? Was ist anerzogen?

Was prägt den Menschen? Was ist angeboren und was anerzogen? Für die Beantwortung dieser Fragen sind Zwillinge für Forscher besonders interessant. Denn der Vergleich von ein- und zweieiigen Zwillingen ermöglicht es, genetische und umweltbedingte Einflüsse getrennt voneinander zu beachten. Experten sind heute überzeugt, dass die Gene unsere Persönlichkeit und unser Verhalten stärker mitbestimmen als lange geglaubt. „Kein Lebensbereich ist frei von genetischen Einflüssen“, sagt Professor Frank Spinath von der Universität Saarbrücken. Das bedeute aber nicht, dass die Gene Eigenschaften oder Intelligenz schicksalhaft festgelegen. „Und es steht auch nicht im Widerspruch zum Fördergedanken“, betont  Spinath. Positive wie negative Einflüsse von außen prägen den Menschen ebenso. 

Das komplexe Wechselspiel von Genen und Umweltfaktoren erforscht Frank Spinath mit den Bielefelder Professoren Martin Diewald (Soziologie) und Rainer Riemann (Psychologie) in der Langzeitstudie "Twin Life". Zwölf Jahre lang begleiten die Wissenschaftler 4.000 ein- und zweieiige Zwillingspaare, ihre Familien und Geschwister. Die Forscher wollen erkennen, wie sich Anlagen und Umweltbedingungen auf den Lebensweg und auf Lebenschancen auswirken. Was bedingt soziale Ungleichheit? Welche Einflüsse und Faktoren sind förderlich, zum Beispiel für den Erfolg in Schule oder Beruf? Die Erkenntnisse können helfen, Förderkonzepte zu verbessern.

Die Befragung der Hälfte der Teilnehmer ergab: 53 Prozent der Eltern versuchen oder versuchten die Zwillinge so gleich wie möglich zu kleiden. Und etwa 62 Prozent der Zwillingspaare besuchen bzw. besuchten die gleiche Grundschulklasse. Die bisherige Forschung zeigt, dass Unterschiede in der Leistung von Zwillingen nicht darauf zurückzuführen sind, ob diese in die gleiche oder verschiedene Klassen gehen. Und auch ein Großteil der Zwillinge teilen die gleichen Hobbies und Interessen.  „Jede Familie muss entscheiden, was am besten passt“, meint Psychologe Rainer Riemann. „Es kann Zwillingen gut tun, wenn sie in getrennte Klassen gehen. Aber es bringt nichts, wenn sich beide auseinander gerissen fühlen.“  

Weitere Infos unterwww.twin-life.de.                 

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