Gute Umgangsformen sind beste Voraussetzungen für das soziale Miteinander
Der ist wohl mit dem D-Zug durch die Kinderstube gefahren! Wenn dieser Spruch ihrer Eltern kam, wusste Ellen schon Bescheid. Diesen Freund brauchte sie so schnell nicht wieder mit nach Hause bringen. „Ich konnte damals gar nicht nachvollziehen, was sie manchmal auszusetzen hatten. Ich fand meine Eltern ganz schön spießig“, meint sie rückblickend. Heute ist sie selbst Mutter und weiß nur zu gut, dass es im Erziehungsalltag immer Situationen gibt, in denen sich Kinder alles andere als höflich und rücksichtsvoll benehmen. Besonders gerne werden Grenzen in der Pubertät ausgetestet. Tochter und Sohn gutes Benehmen beizubringen erfordert von den Eltern Geduld und Nerven.
Aber welche Formen des Benehmens erwarten wir von Kindern, vielmehr was bringt sie weiter? Und wie bringen wir ihnen das bei?
„Begriffe wie Manieren, Benehmen, Anstand wirken verstaubt und erwecken Assoziationen zu Drill“, sagt Inge Wolff. Die Bielefelder Tanzlehrerin spricht deshalb viel lieber von Verhalten und Umgangsformen. Sie weiß bestens über moderne Umgangsformen Bescheid, hat eine Reihe von Büchern zum Thema Knigge verfasst und steht seit 2000 unter anderem als Präsidentin der Umgangsformen-Akademie Deutschland vor. „Vereinfacht geht es doch um ein gutes, angenehmes Miteinander zwischen den Menschen.“ Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und Respekt erleichtern nicht nur das Familienleben, sondern sind darüber hinaus eine wichtige Voraussetzung für das soziale Miteinander. Sozusagen gesellschaftlicher. Und das muss gelernt werden. Je früher desto besser.
In ihrem Buch „Der Knigge Coach, Tipps für Schule und Familie“ stellt sie fest, dass die gute Kinderstube heute andere Möbel enthält als noch die des letzten Jahrtausends. Stereotypen und Verallgemeinerungen wie die Jugend von heute, die Lehrer, die Schüler lehnt sie ab. „Es gibt schlecht, aber viele gut erzogene Menschen.“ Und auch das einzig verbindliche gute Benehmen gebe es nicht, da es immer im Kontext mit einem Kulturkreis und dem Zeitgeist stehe und stets im Wandel begriffen ist. Der Diener – vielen Großeltern noch geläufig - hat längst ausgedient. Und der Knicks wird nur noch vor Englands Queen praktiziert.
Es geht nicht um Etepete, sondern darum, Kinder mit dem notwendigen Rüstzeug auszustatten, damit sie selbstsicher und gut gewappnet durchs Leben gehen können. Dies erlernen sie mit altersgerechter Erziehung, Konsequenz und durch gute Vorbilder. Dazu ist nicht zwingend ein Benimm-Kurs notwendig. Die Wiege moderner Umgangsformen steht in der Regel im Elternhaus. Kinder verinnerlichen im Laufe der Zeit durch Nachahmen, was Mami und Papi ihnen vorleben. Deshalb sollten zu Hause die Regeln auch von den Eltern bewusst befolgt werden. „Das ist kein Einbahnstraßensystem, sondern sollte von beiden Seiten beherzigt werden“, mahnt die Benimm-Expertin. Gute Umgangsformen müssten im Alltag ständig miteinander praktiziert werden. Dann werden sie auch ganz automatisch verinnerlicht.“
Kinder lernen über Nachahmung – vom ersten Lebenstag an in der Familie. Der Säugling wird angelächelt und schenkt ein Lächeln zurück. Schon von klein auf gewinnt das Kind Sympathien, wenn es sich seinem Alter angemessen zu benehmen weiß. Und sympathische Menschen haben es nun mal im Leben leichter als ein Querulant. So wie Kinder sprechen und laufen lernen, so müssen sie auch das Miteinander lernen durch Vorbilder. Doch welche Formen des Benehmens erwarten wir? Ein Vierjähriger muss noch nicht wissen, dass er in der Straßenbahn für einen älteren Fahrgast aufstehen sollte. Auch die Anrede „Sie“ ist für die Jüngsten noch lange nicht verständlich.
Zauberwörter ganz früh verinnerlichen
Es gibt aber durchaus übergeordnete Regeln über den Mikrokosmos Familie hinaus, die allgemeingültig sind und verstanden werden. Basics wie „bitte“, „danke“, „wie bitte“. Diese Zauberwörter können Kinder schon ganz früh verinnerlichen - vorausgesetzt sie hören diese oft genug. „Auch die Entschuldigung gehört für mich dazu“, so Inge Wolff. Ein ernst gemeintes „Das tut mir leid“ lässt Missgeschicke schnell vergessen. Höflichkeiten wie beim Grüßen den Gegenüber anzuschauen oder die Hand zu reichen gehen in Fleisch und Blut über, wenn sie regelmäßig praktiziert werden. Angemessene Umgangsformen sind auch deshalb angebracht, weil sie viele Situationen im Alltag erleichtern, eine Vertrauensbasis herstellen und eine entspannte Atmosphäre schaffen - davon profitieren Kinder. Und das auf lange Sicht!
Dazu zählen auch Tischsitten: Besteck benutzen, nicht mit vollem Mund sprechen, nicht schmatzen, nicht rülpsen – Rüstzeug, um sich bei Einladungen, in der Schulmensa oder im Restaurant sicher zu fühlen. Gelernt wird das zu Hause. Wenn aber im Stehen und nebenbei gegessen wird, verkommt die Mahlzeit zur Nebensache. „Gemeinsame Mahlzeiten sind jedoch mehr als nur Nahrungsaufnahme. Hier findet Kommunikation statt, hier wird Sozialverhalten gelernt“, so Inge Wolff. Störfaktoren wie Fernseher oder Handys gehören eigentlich nicht zum gedeckten Tisch. Die Aufmerksamkeit in dieser Zeit lieber dem Gegenüber und nicht den sozialen Netzwerken schenken.
Werden jedoch Spielregeln wiederholt gebrochen, so zieht das für den Nachwuchs Konsequenzen nach sich. Kinder brauchen Erwachsene, die den Mut haben, Regeln aufzustellen und diese auch durchzusetzen. Grenzen aufzuzeigen kostet Eltern, Erzieher, Lehrer Kraft, bedeuten aber für das Kind einschätzbar zu sein. Doch bitte keine leeren Drohungen!
Wenn alle bemüht sind, sich an Spielregeln - das Fairplay - zu halten, stimme nach Meinung Wolffs das Fazit:
- Mit guten Umgangsformen wird das Leben erfreulicher und stressfreier.
- Überlegtes und angemessenes Verhalten verbessert die Kommunikation.
- Wer sich an die Spielregeln des Zusammenlebens hält, trägt nicht nur dazu bei, anderen das Dasein zu erleichtern, sondern hat selbst den großen Vorteil, dass sein Alltag angenehmer und problemloser wird.
Susanne Esser
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