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Genetik wird oft ignoriert

Der Wunsch nach einem Hund in der Familie ist in Zeiten der Pandemie größer denn je. Doch welcher Hund passt in welche Familie? Welche Fragen sollten im Vorfeld geklärt werden? Wir haben bei dem Bielefelder Hundetrainer und Verhaltensberater Markus Sisterhenn einmal nachgehört.

Was sind die Grundvoraussetzungen, um einen Hund in die Familie aufzunehmen?

Entscheidet man sich für einen Hund, so begleitet er einen oft viele Jahre durchs Leben. Auch wenn ein Hund ungemein bereichernd für die Familie sein kann, wollen einige Punkte im Vorfeld gut bedacht werden.

Zuallererst einmal sollten, je nach Alter der Kinder, alle Familienmitglieder gemeinsam die Entscheidung für einen Hund treffen. Gibt es Vorbehalte oder Ängste, von Allergien ganz zu schweigen, sollten diese ernst genommen und reflektiert werden. Auch die mietrechtlichen Voraussetzungen müssen geklärt sein, denn die Haltung eines Hundes kann im Einzelfall vom Vermieter untersagt werden.

Zudem sollte man sich ehrlich fragen, ob man dem Hund zeitlich gerecht werden kann. Der individuelle Zeitaufwand kann je nach Rasse, Alter, und Charakter des Hundes stark variieren. Auch unter Hunden gibt es genügsame Couchpotatoes oder stets unruhige Workaholics. Täglich mehrere Spaziergänge, sowie ein eventuelles Hundetraining oder die Beschäftigung des Hundes, sollten bedacht werden.

Spannend wird es, wenn aufgrund von Krankheit oder Urlaubsplanung der Hund anderweitig versorgt werden muss. Auch die Arbeitssituation kann sich für einige Menschen unerwartet ändern, z.B. ganz aktuell, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter aus dem Homeoffice zurück ruft. Wer kümmert sich, falls die Person, die hauptsächlich mit dem Hund spazieren geht, für längere Zeit ausfallen sollte? Kann oder will ich meinen Hund nicht mit in den Urlaub nehmen? Wer nimmt ihn dann? Darauf sollte man vor der Anschaffung eine Antwort haben.

Zu guter Letzt dürfen die Kosten der Hundehaltung nicht unterschätzt werden. Der Anschaffungspreis spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Steuern und Versicherung sowie Kosten für die Erstausstattung, Futter und Tierarzt sollten berücksichtigt werden. Insbesondere eine unvorhergesehene OP kann sehr schnell sehr teuer werden.

Sind ein Mischling oder ein reinrassiger Hund als Ersthund zu empfehlen?

Die Genetik eines Hundes ist neben Reifung, Sozialisierung und Erlerntem ein wichtiger Faktor, welcher das Verhalten des Hundes maßgeblich beeinflusst. Bestimmte Verhaltensmuster sind bei den Rassen teils über Jahrhunderte in den Vordergrund gezüchtet worden. Leider wird der Faktor Genetik allzu oft ignoriert und nur nach Aussehen geschaut. Und dann wundert man sich, warum der Spitz bellt oder der Setter am Horizont nachschaut, was man so aufstöbern kann. Man sollte also nicht auf ausgeprägte Spezialisten setzen, wenn die Anlagen des Hundes schlicht unerwünscht sind. Ist der Hund beispielsweise ein absoluter Hüte-Experte oder seine Talente liegen in den Bereichen Packen, Schütteln und Totbeißen, ist es vielleicht nicht der optimale Familienhund.

Entscheide ich mich für einen Rassehund, weiß ich also in etwa, was mich erwarten wird. Dies kann für Familien durchaus vorteilhaft sein. Dann gibt es Mischlinge, bei denen man zumindest grob weiß, welche Rassen drinstecken, aber auch jene, bei denen jedes Mal aufs Neue gezielt zwei Ausgangsrassen miteinander verpaart werden. Ein bekanntes Beispiel hierfür wäre wohl der Labradoodle, eine Kreuzung aus Labrador und Pudel. Es gibt unzählige weitere sogenannte Designerdogs. Auch hier kann ich aufgrund der Kenntnis über die Ausgangsrassen gewisse Erwartungen an das Verhalten stellen.

Dies soll jedoch auf keinen Fall bedeuten, dass Familien mit einem Mischling unbekannter Herkunft nicht glücklich werden können. Es gibt viele tolle Mischlinge, und selbst bei ungünstiger Genetik können eine gute Erziehung sowie ein gutes Bauchgefühl viel wettmachen.

Ebenso ist Rassehund auch nicht gleich Rassehund. Wenn es um Profit geht, werden Gesundheit und Wesensfestigkeit schnell mal ignoriert und Vermehrer auf den Plan gerufen. Insbesondere zu Coronazeiten, wo viele Menschen Zeit für die Anschaffung eines Hundes und das Bedürfnis nach sozialer Nähe haben, wird aufgrund der deutlich gestiegenen Nachfrage unter tierschutzwidrigen Bedingungen viel „produziert“, um möglichst teuer zu verkaufen. Dieses Geschäftsmodell sollte man auf keinen Fall unterstützen, auch nicht aus Mitleid.

In Deutschland ist der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) der Dachverband der meisten Rassehundezuchtvereine. Natürlich kann es auch hier schwarze Schafe geben, aber wer in einem dem VDH angehörigen Verband züchtet, hat zumindest gewisse Auflagen zu erfüllen und Qualifikationen nachzuweisen. Die Zuchthunde müssen u.a. Wesenstests ablegen und gesundheitlich untersucht sein, die Vereine führen Datenbanken zur Verminderung rassetypisch vererbbarer Erkrankungen.

Was ist bei der Anschaffung eines Welpen oder eines schon älteren Hundes zu beachten?

Wenn Familien sich für einen Welpen entscheiden, können sie die Entwicklung des Hundes fast von Anfang an begleiten. Sie wissen somit, was der Welpe erlebt hat, Gutes wie Schlechtes. Dies kann insbesondere mit kleinen Kindern ein großer Vorteil sein. Außerdem ist es wahnsinnig schön für Kinder, gemeinsam mit einem Hund aufzuwachsen. Doch Vorsicht: die Welpenzeit ist gleichermaßen schön wie auch anstrengend.

Bei einem älteren Hund muss man sich oftmals nicht mehr um Themen wie Stubenreinheit oder Grunderziehung sorgen, und auch eine nervenaufreibende Pubertät bleibt einem erspart. Ein ruhiger und souveräner Hund kann einer Familie die Anfänge sehr erleichtern.

Je nach Herkunft weiß man allerdings oftmals nicht, was der Hund bereits erlebt und welche Strategien er daraus entwickelt hat. Zudem erlebe ich es in meinem beruflichen Alltag leider immer wieder, dass die wahren Abgabegründe bewusst verschwiegen werden. Wenn die Vorgeschichte des Hundes seriös beurteilt oder der Hund gut eingeschätzt werden kann, spricht aber selbstverständlich nichts gegen einen älteren Familienhund.

Woher weiß ich, welcher Hund der richtige für uns ist?

Es gibt fast 400 von der FCI anerkannte Hunderassen, teils in unterschiedlichen Größen, Farben und Fellvarianten. Hinzu kommen unzählige weitere, nicht anerkannte Rassen sowie Kreuzungen und Mischlinge. Selbstverständlich eignet sich nicht jeder Hund für ein unbeschwertes Familienleben. Es bedarf immer eines Abgleichs zwischen den individuellen Ansprüchen an Wesen und Aussehen auf der einen Seite, und der Familienkonstellation, dem Alter der Kinder sowie geplanten Aktivitäten mit Hund auf der anderen.

Langes oder kurzes Fell, Stehohren, Ringelrute? Natürlich soll der Hund auch äußerlich gefallen. Wie bereits erwähnt, sollte die Genetik jedoch mit Blick auf das Verhalten nicht unterschätzt werden. Dazu muss man auch aufmerksam zwischen den Zeilen der Rassebeschreibungen lesen können. So kann das Bellen des „wachsamen“ Hundes schnell zu Problemen mit den Nachbarn führen, der „selbstbewusste“ Rüde einem Konflikt mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen nicht abgeneigt sein. Zudem sind viele Rassen hoch spezialisiert und gehören ehrlicherweise nur in die Hände von Schäfern, Jägern oder Polizei. Von diesen Rassen würde ich in der Regel dringend abraten.

Nicht jeder Hund wird in der Stadtwohnung glücklich, nicht alle Rassen eignen sich, um sie zum Joggen mitzunehmen oder mit den Kindern ausgelassen zu toben. Ist die Familie selbst eher gemütlich, wird sie mit einem agilen Hund auch nicht glücklich. Eine gute Tierschutzorganisation oder ein seriöser Züchter wird ehrlich Auskunft geben, nicht nur über die Vorzüge, sondern auch über mögliche Probleme mit dem Hund des Interesses.

Viele zukünftige Hundehalter lassen sich auch vor der Anschaffung ausführlich beraten. Eine professionelle Hundeschule bietet dies bereits im Vorfeld an. Selbst wenn man schon einen Favoriten hat, egal ob jung oder alt, im Tierheim oder von privat, möchte man vielleicht eine unabhängige Meinung hören.

Auch wenn es Ihr Job ist, was spricht für ein Hundetraining?

In den beengten Bedingungen unserer Städte und vor dem Hintergrund immer strengerer Verordnungen und Gesetze ist das Bedürfnis nach einem angepassten Hund groß. Die Ansprüche an den wohlerzogenen Hund haben sich dabei in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Hunde sollen niemanden belästigen und möglichst überall am Leben der Familie teilhaben. Im Restaurant sollen sie brav unter dem Tisch liegen und mit in den Urlaub fahren können.

Wer ein gutes Händchen für die Erziehung seines Hundes hat, braucht oftmals keine Hundeschule, solange keine Probleme das Miteinander belasten. Wenn man sich in seinem Alltag jedoch aufgrund des Verhaltens des eigenen Hundes eingeschränkt fühlt, nicht mehr ausgehen kann, Spaziergänge zur Qual werden, der Besuch ausbleibt oder das Kind nicht mehr Kind sein darf, ist es an der Zeit sich professionelle Hilfe zu holen. Ein guter Hundetrainer bzw. Hundetrainerin wird sich dann auch bald wieder überflüssig machen und den Haltern helfen und das unerwünschte Verhalten dauerhaft zu verbessen.

Vielen Problemen kann man aber auch vorbeugen, indem man mit einem Training beginnt, bevor sich störende Verhaltensweisen entwickeln. In Welpengruppen, Junghundekursen oder Erziehungskursen für erwachsene Hunde kann man mit anderen Hunden und Haltern zusammen die Grundlagen erlernen und vertiefen. Darüber hinaus gibt es für Erwachsene und Kinder unzählige Beschäftigungsangebote von Hundeschulen und Vereinen, um den Hund entsprechend seiner Anlagen auszulasten und gemeinsam mit Gleichgesinnten Spaß zu haben.

Auch wenn es keine Probleme gibt und man den Erziehungsteil selbst übernehmen möchte, gibt es ein wichtiges Thema, welches gerade dem Welpen zu Hause in der Regel nicht geboten werden kann: Sozialisierung mit gleichaltrigen Hunden. Mein Appell an alle Welpenbesitzer: Lassen Sie Ihren Hund in dieser wichtigen Phase verschiedene Hundetypen ähnlichen Alters spielerisch kennenlernen und sich ausprobieren.

Wann sollte mit dem Training begonnen werden?

Egal ob Welpe oder erwachsener Hund: man sollte den Hund ein paar Tage bei sich zu Hause ankommen lassen, bevor man eine Hundeschule besucht. Erziehung hat auch immer etwas mit Beziehung zu tun. Es kommt zum Glück selten vor, aber wenn der Hund unsicher hinter dem Sofa sitzt und seinen neuen Haltern noch nicht ganz über den Weg traut, wäre es unfair, mit ihm einen Kurs oder eine Gruppe zu besuchen. Er wird nicht wissen, an wem er sich orientieren soll. Sollte sich dieses Verhalten jedoch nicht zügig bessern, kann man sich Hilfe holen, unter Umständen auch zu sich nach Haus.

In den ersten Tagen nach der Ankunft sollten trotzdem schon ein paar Grundregeln aufgestellt werden. Katzen jagen und Menschen zwicken wird sofort unterbunden. Soll der Hund langfristig nicht aufs Sofa oder bestimmte Räume nicht betreten, kann man auch dies von Anfang an klarstellen. Insbesondere Ersthundehalter sind diesbezüglich manchmal unsicher und können sich bei Bedarf schon im Vorfeld beraten lassen.

Ist der Hund dann gut angekommen, und dafür reichen normalerweise ein paar Tage aus, kann sofort mit einem Training begonnen werden. Dieses sollte sich natürlich immer am Entwicklungsstand des Hundes orientieren.

Liegt der Hund in der Verantwortung aller Familienmitglieder?

Die Verantwortung für die Erziehung und die täglichen Pflichten rund um den Hund liegt immer bei den Eltern. Alles andere wäre unfair gegenüber Kind und Hund. Kinder können aber, je nach Alter, sowohl in die Erziehung als auch die täglichen Pflichten mit eingebunden werden. Natürlich muss dies, zumindest anfänglich, durch die Eltern begleitet und kontrolliert werden.

Im formalen Bereich können sich Kinder ausgiebig einbringen, z.B. wenn es darum geht, dem Hund Kommandos wie Sitz, Platz, Rückruf oder die Leinenführigkeit nett beizubringen. Viele tun dies mit großer Begeisterung und Ausdauer. Manche Hundeschulen bieten hierzu auch spezielle Kurse für Kind und Hund an. Auch beim Füttern oder der Fellpflege kann das Kind Aufgaben übernehmen.

Stellt der Hund jedoch Dinge in Frage oder jagt die Nachbarskatze werden Kinder und selbst viele Jugendliche schnell überfordert sein.

Was lernen Kinder im Umgang mit dem Vierbeiner?  

Die positiven Auswirkungen der Hundehaltung, insbesondere auf Kinder, sind wissenschaftlich gut untersucht und unbestritten. Wie gut das alles funktioniert, liegt aber zum Teil auch bei den Eltern und muss kein Selbstläufer sein.

Wie bereits erwähnt, lernen Kinder Verantwortung zu übernehmen, indem sie altersgerecht gewisse Pflichten haben. Ebenso sollte es auch für die Kinder Regeln im Umgang mit dem Hund geben. Auch der netteste und geduldigste Hund braucht mal eine Ruhepause oder einen Rückzugsort, welche das Kind zu akzeptieren hat.

Hunde geben Halt und Geborgenheit. Sie machen glücklich, stärken das Selbstbewusstsein und senken nachweislich den Stresslevel. Ein Thema, das in der heutigen Zeit auch für unsere Kinder immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und ganz nebenbei: Hunde sind auch gut für das Immunsystem und stärken die Abwehrkräfte. Hunde wollen bei Wind und Wetter vor die Tür und sorgen für mehr Bewegung in der Natur. Es gibt also viele gute Gründe, die für einen Hund sprechen.

                                                                                                                        res