Das erste Mal über den großen Teich
Bücher, Filme und das Internet können an ferne Orte entführen. Sehnsuchtsorte selbst aufzusuchen, ist ein Luxus unserer Zeit – wenngleich ein zunehmend umstrittener. Doch neben einem CO2-Fußabdruck hinterlassen solche Reisen eben auch positive Spuren. Prägende Eindrücke, unersetzbare Erfahrungen und Verständnis für die Vielfalt unserer Welt. Für Familien kommen gemeinsame, bleibende Erinnerungen hinzu.
Vor gut zwei Jahren fing unser nunmehr zwölfjähriger Sohn an, diese Rick Riordan-Schinken zu verschlingen. Bücher über jugendliche Helden, die Protagonisten und Orte der griechischen, römischen und nordischen Mythologie an die Ostküste der USA verlegen. Da wird aus dem Empire State Building kurzerhand der Olymp und aus einer Bank in Boston die Walhalla. Was zur Folge hatte, dass Leonard unbedingt mal nach Amerika wollte. Es brauchte dann nur noch den Impuls dieses sagenhaft günstigen Flugangebots, das mich eines Abends per E-Mail erreichte. Wenige Minuten später waren drei Flüge in die USA gebucht.
Wie sich herausstellte, barg unser Ziel auch das Potenzial, eine Reise auf den Spuren der elterlichen Romanhelden zu werden. Neuengland ist Irving-Country und Bücher wie Hotel New Hampshire oder Garp und wie er die Welt sah liebt meine Frau ebenso wie ich. Meine erste literarische Begegnung mit dem amerikanischen Nordosten fand allerdings schon früher in Gestalt der Horror-Romane von Stephen King statt. Die handeln bevorzugt in Kings Heimatstaat Maine. Damit stand die Reiseroute fest: Boston, New York und dann eine Schleife durch die nördlichen Neuenglandstaaten.
Was Sicherheit, Infrastruktur und kulturelle Kontraste betrifft, stellt die US-Ostküste die Light-Version einer Fernreise dar. Sämtliche Bausteine sind übers Internet von zu Hause aus verlässlich buchbar. In unserem Fall neben dem Flug, der Zug von Boston nach New York, das wundervolle Zimmer im Haus einer Künstlerin in Harlem, der sagenhaft günstige Bus zurück nach Boston, der Mietwagen (sollte man immer von Deutschland aus buchen), das Bed & Breakfast, das uns in Bethel auf eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert mitnahm und das Hotel (in) New Hampshire, dessen Pool den einzigen Regentag unserer Reise erträglicher machte.
Was kann man Kindern in welchem Alter zumuten?
Auch wenn man sich in New England oft in der alten Welt wähnt, ein sieben- bis achtstündiger Flug und sechs Stunden Zeitverschiebung sind definitiv Fernreise. Für Familien stellt sich im Hinblick auf Fernreisen die Frage, ab welchem Alter man eine solche Kindern zumuten kann. Und wann es überhaupt mehr Sinn macht, als nur das Fernweh der Eltern zu befriedigen. Säuglinge und Kleinkinder brauchen nicht wirklich Urlaub. Einem Vorschulkind Meer, Berge, Schnee oder etwa Kühe vorzuenthalten, wäre hingegen nicht gut. Wenn es all das nicht vor der Haustür gibt, heißt es halt hinreisen – es müssen ja nicht gleich die Yaks vor weißen Himalayagipfeln sein.
Unser Sohn wollte mit acht Jahren unbedingt mal richtig große Tiere sehen. Da fallen einem Elefanten in Tansania, Kenia, Namibia oder Südafrika ein. Stattdessen wurden es Wale auf den vier Flugstunden entfernten Azoren, die zeitlich nur zwei Stunden zurückliegen. Ein ähnlicher Kompromiss schied im Hinblick auf New York und Boston aus. Zu unserer Überraschung wurde der lange Hinflug im brandneuen Langstreckenflieger A350-900 für Leonard zur ersten Top-Attraktion der Reise. Da Schlafen auf dem Flug gen Westen nicht angesagt ist, bestand der Flug nämlich aus sieben Stunden Verfügbarkeit des ziemlich spektakulären Bord-Entertainment Systems.
Die Müdigkeit kam nach der Landung. Doch der goldenen Jetlag-Minimierungsregel für Flüge gen Westen folgend, galt es bis zur (einigermaßen) normalen Schlafenszeit noch zwei Stündchen durchzuhalten. Der Lohn war genug Energie, um am nächsten Tag in Boston all die wichtigen Orte aus Magnus Chase abzuklappern. Wie sehr eine Geschichte doch belanglose Orte mit Bedeutung aufladen kann. Boston bot darüber hinaus zum Glück noch reichlich Orte, die in der echten Geschichte bedeutsam waren, schöne Ecken, historische Bauten, Wasser, Grün und viel Leben. Man könnte auch sagen: europäisches Flair.
Bei professionellen Reiseveranstaltern buchen
Wer genau dem mit einer Fernreise aus dem Weg gehen möchte, muss – je ausgefallener das Ziel - gegebenenfalls Abstriche bei Sicherheit, Komfort oder schlicht der Erwartung machen, dass alles reibungslos funktioniert. Je exotischer das Reiseziel desto eher macht es daher Sinn, über einen professionellen Reiseveranstalter zu buchen. Das heißt keinesfalls automatisch Urlaub von der Stange. Viele Veranstalter haben sich darauf eingestellt, ganz individuelle Reisen nach den Wünschen der Kunden zusammenzustellen – auch nach den Bedürfnissen von Familien. Das Expertenwissen und die persönliche Erfahrung, die Spezialisten für bestimmte Reiseländer dabei einbringen, sind wirklich wertvoll.
Ein weiterer Vorteil: Wer mindestens zwei Teilleistungen (z. B. Flug und Unterkunft) über einen deutschen Veranstalter bucht, ist rechtlich betrachtet als Pauschalreisender unterwegs und kann im Falle eines Falles von den Segnungen des deutschen Reiserechts profitieren. Bei unserer Azorenreise bekamen wir das ausgelegte Geld für einen Ersatzflug (den eigentlichen Flug hatten wir wegen einer seitens der Airline falsch angegebenen Flugzeit verpasst) vom deutschen Veranstalter anstandslos zurück. Ansprüche eigenständig gegen die portugiesische TAP durchzusetzen, wäre dank europäischer Fluggastrechte zwar nicht ganz aussichtslos, aber doch sehr mühsam geworden. Wer Reisen in außereuropäische Länder im Internet selbst zusammenbucht, läuft Gefahr sein Geld in solchen Fällen vielleicht nicht wieder zu sehen.
Fotos: Christoph Schrahe
Christoph Schrahe
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