Catrin Geldmacher hat die „Weltreise durch Wohnzimmer“ erfunden
Ihr eigener Reisepass ist voller Stempel. An die 50 Länder hat Catrin Geldmacher schon bereist - war in Brasilien, Kuba, Litauen und Peru. Hat dafür nicht etwa tausende Kilometer zurückgelegt, sondern viel, viel weniger. Sie unternimmt Wohnzimmer-Reisen, und die funktionieren so: Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, öffnen für zwei Stunden ihr Wohnzimmer und erzählen interessierten Gästen etwas über ihr Herkunftsland. Einen Stempel in den Weltreise-Pass gibt’s natürlich auch. Als Catrin Geldmacher aus Rheda-Wiedenbrück vor sechs Jahren diese Idee hatte, wusste sie sofort: Dafür setze ich mich ein. Welche Dynamik das Ganze entwickelte, ahnte sie allerdings nicht . . .
„Das ist eine richtige Bewegung geworden“, freut sich die 49-Jährige, die für die „Weltreise durch Wohnzimmer“ mit zahlreichen Preise ausgezeichnet worden ist und immer neue Anhänger findet – in Bielefeld, Gütersloh oder Steinhagen genauso wie in Berlin und München. Ein Grund ist vermutlich, dass die Idee so einfach ist: Es braucht nur etwas Neugierde und Offenheit, und schon geht’s los.
Neugierig und weltoffen, so beschreibt sich auch Catrin Geldmacher, die als Lehrerin für „Deutsch als Fremdsprache“ arbeitet. 2011 luden irakische Schüler ihre Lehrerin zu einem Spontanbesuch ein. Bei Hähnchen, Reis und Fladenbrot erzählten sie, wie die Verwandten im Irak leben und was die Menschen dort bewegt. Zum Schluss zeigten sie dem Gast noch ein Hochzeitsvideo. „Ich dachte zuerst, sie hätten das falsche Video eingelegt, weil alle so ernst aussahen.“ Die Iraker fragten zurück: „Gibt es etwas Ernsteres als eine Heirat? Als Verantwortung für eine Familie zu übernehmen?“
Der Besuch war für Catrin Geldmacher ein Schlüsselerlebnis. In zwei Stunden hatte sie eine neue Welt kennengelernt, eine andere Art zu leben und zu denken. Noch auf der Rückfahrt dachte sie: Wie schön wäre es, wenn andere Menschen die Möglichkeit hätten, ähnliche Erfahrungen zu machen, schließlich leben wir in einem Land mit vielen Migranten. Menschen aus Japan, der Türkei oder Südafrika wohnen gleich um die Ecke. Die „Weltreise durch Wohnzimmer“ war geboren.
Mehr als 320 Reisen hat es seitdem gegeben, und ein Ende ist nicht in Sicht. „Es geht nicht darum, dass der Gastgeber Fakten über sein Land aufzählt, sondern darum, den Menschen nahe zu kommen“, betont Geldmacher. Wie leben Menschen in Kuba oder Brasilien? Wovon träumen sie? Wie ist der Alltag? Es wird eine landestypische Speise gereicht, in einem Wohnzimmer darf eine Reisegruppe – meist um die zehn Leute – Tücher aus Peru befühlen, bei der nächsten Reise gibt es Musik aus Mosambik. „Je mehr Reisen man macht, umso differenzierter wird das Bild.“ Catrin Geldmacher war schon drei Mal in Polen – und kam jedes Mal mit anderen Eindrücken zurück. So wie es nicht die Deutschen gibt, gibt es auch nicht die Polen oder Mexikaner.
Klischees überprüfen, den eigenen Horizont erweitern – das ist in den Besuchen inbegriffen, für die jeder Teilnehmer einen Obolus von zehn Euro zahlt. „Manche reflektieren danach ihr Leben in Deutschland und sehen vieles mit anderen Augen“, sagt Geldmacher, die es faszinierend findet, wie sehr die Reisen Kopf und Herz berühren. Ihr selbst sei vor allem bewusst geworden, dass es trotz kultureller Unterschiede viele Gemeinsamkeiten gibt. „Jeder wünscht sich eine gute Zukunft für sich und seine Kinder.“ Menschlich ist auch der Wunsch, gesehen und anerkannt zu werden. „Das vermissen viele Zuwanderer“, beobachtet Catrin Geldmacher in ihrem Beruf immer wieder. Zuwanderer stark zu machen, sei eine Motivation gewesen, die Initiative zu gründen, die heute ein Verein ist. „Als Reiseleiter erleben Zuwanderer, dass sich andere für sie interessieren.“
Nicht zuletzt habe sie das Konzept auch für ihre 14-jährige Tochter und ihren Mann initiiert, der Flugangst hat, sagt Geldmacher schmunzelnd. Fernreisen fallen für die Familie darum flach. Für Catrin Geldmacher, die als junge Frau viel mit dem Rucksack in der Welt unterwegs war, ist das kein Problem. Wichtiger als weite Reisen seien ihr die Begegnungen mit anderen Menschen – und das geht an jedem Ort. „Ich finde ein buntes Land super“, sagt sie, die überzeugt ist, dass die Gesellschaft von kultureller Vielfalt profitiert. Sich dafür einzusetzen, ist ihr eine Herzensangelegenheit. „Das ist eine sinnvolle Aufgabe. Und ich sehe kein Ende.“
Wo die nächsten Weltreisen hinführen, steht unter www.weltreisedurch.de.
Silke Tornede
Foto: Hilla Südhaus
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