Spielewelten früher und heute
„Einen Teddy hab ich nie gehabt“, erinnert sich Rolf Schneider. Die neunjährige Chiara sieht ihren Großvater nachdenklich an. „Aber womit habt ihr dann früher gespielt, Opa?“„Wir haben uns aus Holzstücken Spielzeug selbst gebastelt. Mit viel Fantasie wurde aus einem Stück Ast ein Auto. Wir haben uns Wurfscheiben aufgemalt und aus rostigen Nägeln Pfeile gebaut.“ Die Schilderung solcher Kindheitserlebnisse ist für Chiara heute kaum vorstellbar und stimmt sie traurig bei der Fülle an Spielsachen, die ihr zur Verfügung stehen. Doch Opa Rolf beruhigt seine Enkelin. „Wir waren damals nicht unglücklich. Wenn wir spielen wollten, gingen wir einfach raus auf die Straße. Es waren immer eine Menge Freunde da, mit denen ich viele spannende Abenteuer erlebt habe.“
Kindheit der Generation Großeltern und Kindheit heute – ein Quantensprung. Von der Strohpuppe zur Baby born, vom ausgestopften Ball aus einer alten Socke zur Playstation. Die Spiel- und Erfahrungswelten der Kinder haben sich im Laufe der Zeit stark verändert. Kindheit im Wandel der Zeit beleuchtet auch die aktuelle Ausstellung, „Ene, mene, muh. . .“ im Freilichtmuseum Detmold. „Kindheit ist so vielfältig und wird von guten wie schlechten Erinnerungen geprägt“, sagt LWL-Museumsdirektor Dr. Jan Carstensen. „Niemand reagiert emotionsfrei auf die eigene Kindheit."Mehr als die Hälfte der Ausstellungsstücke sind Leihgaben von Privatpersonen, die ihr Lieblingsobjekt mit der dahinter stehenden Geschichte eingereicht haben.
Wie zum Beispiel einem Paar Rollschuhen.
„Oh ja, die waren auch mein ganzer Stolz“, erinnert sich Chiaras Mutter, Steffi Heidemann: „Disco-Roller. Damit sind wir stundenlang die Straße hoch und runter gefahren, haben uns Rampen gebaut, oder gleich einen richtigen Parcours.“ Sie sei als Kind zum Spielen auch einfach raus gegangen. „Wir mussten uns nicht verabreden. Die Freunde waren da. Die Mädchen haben Gummitwist oder Hinkelkästchen gespielt, die Jungs Fußball oder schnitzten sich Schwerter.“Rollschuhe kenntTochter Chiara nicht, auch ihre Inliner liegen schon lange im Keller. Skateboards, Waveboards und auch Hoverboards sind bei ihr und anderen Jugendlichen angesagt. Spaß an Bewegung haben die meisten Kinder, dennoch unterscheiden sich die Spiele von Jungen und Mädchen, die Rollenspiele und das Spielen mit Puppen bevorzugen. Jungs mögen es sportlich. Unabhängig vom Geschlecht ist Fahrradfahren sehr beliebt. Heute wie früher.
Sandra Stephan erinnert sich noch gerne an ihr chices Klappfahrrad. Rot metallic und ihr erstes, ganz neues Fahrrad. Ihr Bruder Dirk gerät ins Schwärmen, wenn er an seinen Kettcar – knallgelb mit geländetauglichen Profilreifen – denkt, mit dem er durch die Gegend peste. Generation outdoor:Beide spielten liebend gern Völkerball und fingen Kaulquappen. „Heute nicht mehr denkbar. Nach den Hausaufgaben waren wir eigentlich nur draußen. Zum Abendbrot mussten wir aber wieder zu Hause sein“, so der 48-Jährige. Keine Erinnerung der Mutter per SMS. Handys gab es nicht.
Kinder spielen nach wie vor gerne im Freien, doch der Aktionsradius heute hat sich eingeschränkt, weil es auch immer weniger Möglichkeiten gibt. Sie spielen zudem heute mehr zu Hause. Aber auch aus dem Grund, weil die meisten - im Gegensatz zu Generationen vor ihnen - ein eigenes, gut ausgestattetes Zimmer haben.
Doch führt das dazu, dass Kinderheute nur noch den Computer als Spielkamerad kennen und am liebsten in die Glotze schauen?So zumindest ist die Vorstellung und Befürchtung vieler. Sind sie wirklich sesshafter geworden und fallen andere Freizeitaktivitäten hinter dem Medienkonsum zurück? „Die Spiele haben sich in den letzten Jahren bei den 6 – 12-Jährigen so gut wie nicht verändert“, weiß Ingo Balovic, Geschäftsführer von iconkids&youth in München: Ganz vorne in der Beliebtheit liegt bauen und konstruieren z. B. mit Lego und Playmobil, gefolgt von traditionellem Spielzeug wie Gesellschaftsspiele sowie Puppen und Stofftiere. Und erst dann kommt der Computer. Medien können für Kinder wie Erwachsene grundsätzlich eine Bereicherung sein, bei ungünstigen Voraussetzungen aber auch zu einer Verarmung von Erfahrungen und Einseitigkeiten führen, stellte das Deutsche Jugendinstitut schon 1992 fest. Tatsache ist, dass Kinder heute über mehr Medien verfügen als jede Generation davor. Konnten sie sich früher nur in die Weiten des Weltalls fantasieren, so können sie sich heute virtuell – mit 3D-Brille oder ohne - in die entferntesten Galaxien beamen.
Kennen Kinder im digitalen Zeitalter von Smartphones, Computer, Spielekonsolen noch Spiele wieGummitwist oder Räuber und Gendarm? Wenn Chiara so erzählt, was sie mit ihren Freundinnen auf dem Schulhof spielt, zeigt sich, dass so manches immer noch seinen Platz hat. „Ich spiele mit meiner Freundin oft Klatschspiele. Am liebsten 'Bei Müller's hat's gebrannt' oder 'Empompi'“. Angesagt ist immer noch das Faltspiel „Himmel und Hölle“, bei dem aus einem quadratischen Blatt Papier ein so genanntes „Schnipp Schnapp“ gefaltet wird. Beschriftet mit Zahlen und Farben finden sich beim Auffalten entweder kleine Orakelsprüche wie „Du wirst ein Filmstar“ oder Aufgaben wie „Hüpfe wie ein Frosch“. „Wenn gutes Wetter ist, bringe ich auch manchmal mein Springseil mit in die Schule. Dann singen wir 'Teddybär, Teddybär, dreh dich um' und gucken, wer es schafft, nicht im Seil hängen zu bleiben“, erzählt die Grundschülerin. Das Hüpfspiel „Hinkelkästchen“, bei dem mit Kreide Felder auf den Schulhof gemalt werden, kennt sie auch. „Das finde ich aber nicht so spannend. Lieber spielen wir Vater, Mutter, Kind oder Fangen mit den Jungs.“
Kinder heute sind vielseitig interessiert und aktiv. Sie spielen Fußball, malen und basteln, fahren Rad und Skateboard, spielen Verstecken und Minecraft. Auch wenn das Skateboard den Rollschuhen davon gefahren ist und Gummitwist eher als ausgeleiert gilt, so hat einiges die Jahre überdauert.Das Sandmännchen läuft heute noch im Fernsehen. Der Klassiker „Mensch ärgere dich nicht“ wühlt seit Jahrzehnten Klein und Groß auf und Brausepulver wird immer noch liebend gern direkt aus demTütchen geschleckt. Nicht alle Spiele von damals sind in Vergessenheit geraten, bedeuten heute neuen Spaß. Mal bleiben sie im Original wie „Räuber und Gendarm“oder bekommen ein neues, zeitgemäßes Gewand wie Geocaching, die digitale Variante der Schnitzeljagd.
Susanne Esser
Foto: charlestaylor, Dimonika/Shutterstock.com
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