Beete für junges Gemüse und Stadtpflanzen
Junge Menschen bauen mitten in der Stadt Blumen und Gemüse an, Familien pachten Parzellen in Kleingartenanlagen. Selber gärtnern ist angesagt.
Von Susanne Esser
Die Rosenzweige neigen sich unter der Last der üppigen rosa Blüten. Also erstmal
ducken, wenn man durch das Holztor die Parzelle von Susanne und Tobias betritt.
Dann rechts oder links um die Beerenhecke herum, erst jetzt ist der Blick auf das
gepachtete Fleckchen Erde am Wickenkamp gleich hinter der Bielefelder Alm frei.
„Vor 3 Jahren haben wir den Garten übernommen und teilen ihn uns mit Freunden“,
erzählt Tobias. Damals lebten sie noch in einer Wohnung mit Hof. Ohne Garten,
ohne Grün. Als Julian geboren war, tat sich die Möglichkeit auf, diesen Garten zu
übernehmen.
„Hier gibt es keinen Wasser- oder Stromanschluss. Wir haben nicht die Auflagen wie in einem Schrebergartenverein. Es ist Grabeland“, erklärt Susanne. Alles ist etwas ursprünglicher, naturnaher. Und genau das schätzen die Beiden: „Wir wollen eher einen verwunschenen Garten“, so die Kulturwissenschaftlerin. Der Pflaumenbaum, der irgendwann mal einen Teil eines Astes eingebüßt hat, wurde nicht beschnitten, sondern gelassen. Zum Glück, denn der Stumpf hat die ideale Stärke und Höhe für die Schaukel von Samuel, dem Jüngsten. Sein große Bruder Julian hat sich gleich daneben in die Hängematte verkrochen.
„Für Kinder ist es einfach toll hier“, meint die 35-Jährige. Sie machen auf ihrer großen Spielfläche ganz viele Erfahrungen – auch nicht Alltägliche. „Julian kannte bisher Igel nur aus seinen Kinderbüchern. Und dann hat uns einer hier besucht.“ Auch Molche und 5 Frösche haben sich bei ihnen niedergelassen. Es gibt in vielen Ecken etwas zu entdecken. In Fauna und Flora. „Julian kennt sich mit Beeren schon recht gut aus. Aber er hat gelernt, auch zu fragen, ob er das essen darf oder nicht.“ Die Familie wohnt in der Nähe des Gartens. Aber sich mit dem drei- und einjährigen Kind dorthin aufzumachen, bedeutet im Vorfeld immer einiges an Logistik. „Essen, Getränke, Feuchttücher, Mülltüten. An vieles muss gedacht werden.“
Pächter eines Schrebergartens oder Grabelandes zu sein ist mehr als Sozialromantik. Junge Parzellenbesitzer wachsen nach und leben ein Laubenleben jenseits der Klischees. Das fing in Großstädten wie Berlin an. Zum Beispiel mit dem Bestsellerautor Wladimir Kaminer, der auch ein Buch über seine Erfahrungen als Laubenpieper geschrieben hat. Und überträgt sich in den letzten Jahren auf immer mehr Familien, die das Glück des Grüns genießen. Waren es zwischenzeitlich eher „Strebergärten“ nach dem Motto „Wer hat den dicksten Kohlrabi, die exakteste Rasenkante und die meisten Kirschen“ kommen die Schrebergärten, deren Bewegung vor 150 Jahren ihren Anfang nahm, in den letzten Jahren ihren Wurzeln wieder sehr nahe.
„Früher hatten Schrebergärten für mich was Spießiges. Und der Gartenzwerg durfte nicht fehlen“, erinnert sich Jochen. Seit einem Jahr ist er nun selbst Pächter einer Parzelle in der Kleingartenanlage Sieben Hügel. Gerne und voller Überzeugung und erlebt es ganz anders. Seinem Beispiel folgen einige mehr - im Bund wie in Bielefeld. „Es vollzieht sich ein Wechsel. Ältere Pächter geben auf, jüngere mit Kindern rücken nach.“ Ein Trend, den auch eine Studie des Bundesministeriums für Stadtentwicklung aus dem Jahr 2008 belegt. Die Studie fand auch heraus, dass nach wie vor die kleingärtnerische Nutzung trotz Zunahme der Erholungsnutzung im Mittelpunkt steht. Der Versorgungsaspekt – nach seinem stetigen Bedeutungsrückgang in der Vergangenheit– gewinnt wieder an Bedeutung, weil mit dem eigenen Anbau von Obst und Gemüse nicht auf gesunde Lebensmittel verzichtet werden muss. Naturund Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge (Gärtnern tut dem Körper und dem Gemüt gut), Freude an der Gartenarbeit, biologisch einwandfreies Obst und Gemüse, Naturerlebnis und Rückzug vom Alltag sind laut Umfrage die bestimmenden Elemente für den Erwerb einer Parzelle.
Eher zufällig sind Jochen und Sabrina Schrebergärtner geworden. „Wir haben eine Wohnung mit Balkon, sind beide jedoch mit Garten aufgewachsen. Wir genießen das Fleckchen Erde sehr und erleben, dass Balkon und Garten doch nicht das gleiche sind“, so Sabrina. Auch für die fünfjährige Emilia sei es toll, die Kräuter zu riechen, durch den Garten zu toben, Puppensalat zu pflücken und Rapunzel zu spielen. Sie haben einen Garten mit Aussicht. Und was für einer. Mit Fernsicht über die Alm hinweg bis hin zum Wiehengebirge. „Silvester waren wir hier mit Freunden. Das war richtig super.“
Sie genießen ihr grünes Refugium. Doch hinter ihnen liegen auch Monate intensiver Arbeit. Jochen, gelernter Tischer, baute das Gartenhaus neu, es wurden Kompostkästen aufgestellt, ein Kräuterbeet angelegt und der Garten nach ihren Wünschen gebändigt. „Wir mussten viel rausreißen und gärtnern jetzt nach dem Motto learning by doing.“ Dabei haben sie Erfolgserlebnisse, erleiden aber auch Rückschläge: „Die Möhren kamen nicht und die Kürbispflanzen haben die Schnecken gefressen. Wir haben ja keine Erfahrung.“ Doch dafür landeten viele Früchte wie Himbeeren und Stachelbeeren vom Strauch ins Kröpfchen und dann erst ins Töpfchen. „Sie wurden zu Marmelade verarbeitet.“
Ausprobieren ist auch das Motto von Tobias und Susanne. Sie wollen ein Hochbeet anlegen und hatten bereits Kürbisse vorgezogen. Doch da waren die Schnecken schneller. Auch die Saat einiger Blumen ist nicht aufgegangen. Dafür haben auch sie reichlich Früchte wie Himbeeren, rote und schwarze Johannisbeeren und Josterbeeren geerntet. „Diese haben wir zu Marmelade und Likör verarbeitet.“ Beide Familien genießen ihr grünes Zimmer und verstehen es nicht als Last oder Belastung. Für Jochen, der in der Logistikabteilung eines Bielefelder Unternehmens arbeitet, ist der Garten Ausgleich zur Büroarbeit. Der Körper schaltet auf Ruhemodus. „Ich bin gerne abends noch mal hier. Es ist toll, wenn ich harke und mir der Duft der Kräuter in die Nase steigt.“
Rückzug aus dem Alltag und abschalten. „Stimmt“, sind sich Tobias und Susanne einig: „Wir genießen es auch, mal ohne Kinder hier zu sein.“
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